Entscheidung des UPC: Einstweilige Unterlassungsverfügung
Regel 211.1 und Regel 212.3 Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts: Das Verfügungspatent schützt eine Kombinationsstruktur aus einem Fahrradrahmen und einer Motornabe. Die angegriffene Ausführungsform kann seit dem 21. Juni 2023 auf der Messe „Eurobike 2023“ in Frankfurt am Main Probe gefahren werden. Darüber hinaus ist über die Internetseite der Antragsgegnerin sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch ein Bestellformular abrufbar, über welches die angegriffene Ausführungsform bestellt werden kann. Die angegriffene Ausführungsform wurde am 19. Juni 2023 auf Antrag der Antragstellerin am Schweizer Sitz der Antragsgegnerin besichtigt. Die Ergebnisse dieser Besichtigung sind inhaltlich noch nicht freigegeben. Mit Schriftsatz vom 22. Juni 2023 mahnte die Antragstellerin die Antragsgegnerin erfolglos ab; noch am gleichen Tag wurde der Verfügungsantrag gestellt.
Die Antraggegnerin hatte am 19. Juni 2023 eine Schutzschrift eingereicht, in der sie sich auf Erschöpfung berief und eine Verletzung in Abrede stellte. Die Antraggegnerin beantragte daher die Abweisung des Antrags und hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Das Einheitliche Patentgericht erkannte eine unmittelbar wortsinngemäße Verletzung, da es – entgegen dem Vorbringen in der Schutzschrift – nicht aus dem Schutzbereich des Verfügungspatent herausführt, wenn sich das Innengewinde bei der angegriffenen Ausführungsform nicht unmittelbar im Loch der zweiten Gabel, sondern in einem darauf angebrachten Sensor befindet; das Verfügungspatent schließt eine solche mehrteilige Gestaltung der zweiten Gabel nicht aus.
Es ist auch keine Erschöpfung im Sinne von Artikel 29 des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht eingetreten, wie bereits das Schweizerische Bundesgericht einem Parallelverfahren zutreffend erkannt hat. Die Antragstellerin hat zudem Anspruch auf eine vorläufige Kostenerstattung im Sinne von Regel 211.1 (c) Verfahrensordnung; da die Antragstellerin den durch sie auf € 16.000,– bezifferten Betrag nicht näher erläutert hat, werden ihr aber nur die gesetzlich anfallenden Gerichtskosten zugesprochen.
Der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist in dem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Umfang gesichert. Der Hinweis auf die Erteilung des Verfügungspatents wurde bereits 2015 veröffentlicht, ohne dass Einspruch eingelegt wurde oder eine nationale Nichtigkeitsklage erhoben wurde. Die Antragsgegnerin hat weder vorgerichtlich noch in ihrer Schutzschrift relevanten Stand der Technik geltend gemacht.
Die einstweilige Verfügung wurde ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin zu erlassen, da die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass ihr durch eine Verzögerung ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde (Regel 212.1 Verfahrensordnung). Bei der „Eurobike 2023“ handelt es sich um eine wichtige Leitmesse, die eine erhebliche Relevanz für die gesamte Branche besitzt. Die Ausstellung der angegriffenen Ausführungsform auf dieser Messe kann daher zu einem kaum rückgängig zu machenden Verlust von Verkäufen bzw. Marktanteilen der Antragstellerin führen.
Im Unterlassungstenor wird der Wortlaut von Anspruch 1 wiedergegeben, wie von der Antragsgegnerin insbesondere beantragt (dem abstrakteren Hauptantrag auf Unterlassung „entsprechend den Ansprüchen des Verfügungspatents“ wurde nicht stattgegeben). Die Vollstreckbarkeit wurde an die Zahlung eine Sicherheit in Form einer Hinterlegung oder einer Bankbürgschaft in Höhe von € 500.000,– innerhalb einer Frist von 10 Tagen ab Zustellung der Anordnung geknüpft (UPC 22. Juni 2023, CFI 177/2023).
Regel 353 Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts: Zu dem vorstehenden Unterlassungs-eV-Beschluss wurde eine Berichtigung gemäß Regel 353 Verfahrensordnung beantragt, wonach es der Antragsgegnerin zu unterlassen habe, die geschützte Kombinationsstrukur in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Österreich und/oder Italien anzubieten; dh gegenüber dem erlassenen Titel wurde Österreich ergänzt.
Gemäß Antragstellerin handle es sich bei der Nichtnennung von Österreich um eine offenbare Unrichtigkeit. Dem Berichtigungsantrag wird nicht stattgegeben, da es sich nach Ansicht des Gerichts nicht um eine unrichtige oder unvollständige Verlautbarung des vom Gericht eigentlich Gewollten handelt. Vielmehr ist die Anordnung vorläufiger Maßnahmen auf der Grundlage der Antragsschrift ergangen, in welcher Österreich weder in den Anträgen noch in der Begründung genannt wurde. Dass die Antragstellerin in ihrem allgemeiner gehaltenen Hauptantrag den Erlass einer einstweiligen Verfügung in Bezug auf alle Mitgliedsstaaten des Einheitlichen Patentgerichts begehrte, in denen das Verfügungspatent in Kraft steht, gibt unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der Antragsschrift zu keiner abweichenden Bewertung Anlass (UPC 30. Juni 2023, CFI 177/2023).