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Voraussetzungen für Amtshaftung bei Unterlassen eines Vorabentscheidungsersuchens

Am Ende unserer letzten News haben wir erwogen, ob nicht ein Fall von Amtshaftung vorläge, sofern ein Gericht letzter Instanz seiner Verpflichtung zur Vorlage von europarechtlichen Fragen an den EuGH nicht nachkommt.

In einer jüngst ergangenen Entscheidung (nicht auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts) hat der OGH nun die Voraussetzungen für eine Amtshaftung in solchen Fällen erörtert. Demnach ist das nationale Gericht nicht zur Vorlage verpflichtet, sofern die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Demzufolge ist es – nach Ansicht des OGH – grundsätzlich den nationalen Gerichten überlassen, ob eine Vorlage erfolgt. Ob vernünftige Zweifel vorliegen, ist allerdings nicht aus der subjektiven Sicht des nationalen Gerichts zu prüfen, sondern diese hat unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts zu erfolgen.

In Amtshaftungsprozessen ist jedenfalls von den Unterinstanzen nicht die Richtigkeit der Entscheidung über die Einholung oder Nicht-Einholung einer Vorabentscheidung zu beurteilen, sondern lediglich deren Vertretbarkeit zu beurteilen. Im Revisionsverfahren müsste aber auch noch die von den Unterinstanzen vorgenommene Beurteilung eine gravierende Fehlbeurteilung der Umstände des Einzelfalls darstellen und insoweit geradezu unvertretbar sein.

Ob daher Amtshaftungsansprüche vorliegen, hängt daher nicht davon ab, ob die Unterinstanzen die Vertretbarkeitsfrage richtig gelöst haben, sondern lediglich davon, ob deren Lösung auf einer gravierenden Fehlbeurteilung beruhte. Nur in diesem Falle würde eine Amtshaftung eintreten.

Den Antrag der Klägerin, ein Vorabentscheidungsverfahren zur Klärung der Frage einzuleiten, ob im Anlassverfahren Vorlagepflicht bestanden habe, wies der OGH mit dem Hinweis zurück, dass eine Partei kein Antragsrecht betreffend die Einholung einer Vorabentscheidung habe. Zudem trat der OGH auch einer derartigen Anregung nicht näher, da Prozessgegenstand eines Amtshaftungsverfahrens nicht diese Frage, sondern lediglich die Frage der Vertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen sei.

Die Begründungen sind durchwegs zutreffend; das Ergebnis ist jedoch, dass ein Verstoß gegen Art. 234 (3) EG-Vertrag wohl in der Praxis keinerlei Sanktion nach sich zieht, wodruch die gesamte Vorlagepflicht zu einem Nullum derogiert wird. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH nicht Gelegenheit bekommt, Art. 234 (3) EG-Vertrag diesbezüglich näher auszulegen. Hiefür ist nämlich der EuGH und nicht ein nationales Höchstgericht zuständig.

Dr. Rainer Beetz, LL.M.