SONN Patentanwälte – IP Attorneys

Unvollständige Umsetzung des Artikel 10 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

Artikel 10 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (RL 2004/48/EG, Durchsetzungs-RL) sieht Abhilfemaßnahmen betreffend geistige Eigentumsrechte verletzender Waren und Geräte, die vorwiegend zur Schaffung oder Herstellung dieser Waren gedient haben, vor. Zu diesen Maßnahmen gehören:

  • Rückruf aus den Vertriebswegen,
  • endgültiges Entfernen aus den Vertriebswegen, oder
  • Vernichtung.

Im Vergleich zu diesen Abhilfemaßnahmen sehen die österreichischen Immaterialgütergesetze (PatG, MSchG, UrhG, etc.) lediglich die Vernichtung der verletzenden Waren und der zur Herstellung dieser verletzenden Waren benutzten Werkzeuge vor.

Bei der Umsetzung der Durchsetzungs-RL hat der österreichische Gesetzgeber lediglich in den Erläuternden Bemerkungen ausgeführt, dass Abhilfemaßnahmen wie in Artikel 10 gefordert in den österreichischen Immaterialgütergesetzen bereits vorgesehen sind. Folglich wurde kein Handlungsbedarf in diesem Zusammenhang gesehen. Dementsprechend hat der österreichische Gesetzgeber die Durchsetzungs-RL offensichtlich dahingehend ausgelegt, dass Artikel 10 dem nationalen Gesetzgeber drei Möglichkeiten zur Auswahl bietet. Da in den österreichischen Immaterialgütergesetzen bereits die Vernichtung verletzender Waren vorgesehen war, wurde eine Änderung bezüglich der Abhilfemaßnahmen für nicht erforderlich erachtet. Demgegenüber ergibt sich in Anbetracht des Erwägungsgrundes 24 und dem Wortlaut anderer Sprachfassungen als Deutsch, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber alle drei Möglichkeiten der Abhilfemaßnahmen in die nationalen Gesetze verankert wissen wollte. Demzufolge lag die Auswahl der Abhilfemaßnahmen nicht beim nationalen Gesetzgeber, sondern vielmehr sollen die Schutzrechtsinhaber die Möglichkeit haben, aus den drei Alternativen wählen zu können. Demgemäß hat der österreichische Gesetzgeber es klar verabsäumt, Artikel 10 der Durchsetzungs-RL vollständig umzusetzen.

Auch der Gesetzesentwurf der deutschen Bundesregierung zur Umsetzung der Durchsetzungs-RL in das deutsche Recht verdeutlicht das Versäumnis des österreichischen Gesetzgebers. Gleich wie in Österreich, sahen die deutschen Immaterialgütergesetze bisher lediglich die Vernichtung als einzige Abhilfemaßnahme vor. Um den Anforderungen der Durchsetzungs-RL zu entsprechen, werden nunmehr der Rückruf und das endgültige Entfernen aus den Vertriebswegen in die deutschen Immaterialgütergesetze eingeführt.

Da die Frist zur Umsetzung der Durchsetzungs-RL bereits abgelaufen ist, die diesbezüglichen Bestimmungen den österreichischen Gesetzgeber zur Änderung der nationalen Gesetze verpflichteten, und die einschlägigen Vorschriften hinreichend bestimmt und unbedingt sind, sollten sich die Rechtsanwender jedoch erfolgreich auf die direkte Anwendbarkeit dieser Bestimmungen berufen können.

Zu wünschen bleibt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Formulierung verpflichtender Bestimmungen in Zukunft dem tatsächlichen Wortlaut größere Aufmerksamkeit zukommen lässt, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und um eine vergleichbar unrichtige Auslegung künftig zu vermeiden.

Dr. Rainer Beetz, LL.M.