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EPA: Zurückverweisung zur weiteren Prüfung von erstinstanzlich nicht behandelten Hilfsanträgen

Die Beschwerdekammer wird gemäß Art 111 Abs 1 EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die Entscheidung erlassen hat, oder sie verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an das erstinstanzliche Organ zurück. Nach Artikel 11 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) verweist eine Beschwerdekammer die Angelegenheit dann zur weiteren Entscheidung an jenes Organ zurück, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wenn besondere Gründe dafür sprechen. Solche liegen idR vor, wenn das Verfahren vor jenem Organ wesentliche Mängel aufgewiesen hat, oder ungeprüfte Fragen der Patentierbarkeit vorliegen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Einspruchsabteilung nicht alle Einspruchsgründe geprüft hat. Denn in jenem Fall würde die Beschwerdekammer zwangsläufig den rechtlichen Rahmen der erstinstanzlichen Entscheidung überschreiten, da die verschiedenen Einspruchsgründe nach Art 100 lit a-c EPÜ gegen das Patent als eigenständige Rechtsgrundlagen zu betrachten sind. Dagegen stellen nicht geprüfte Hilfsanträge oder weitere Angriffslinien gegen ein an sich geprüftes Patentierungserfordernis regelmäßig keine besonderen Gründe dar. 

Ein Rechtsanspruch auf Entscheidung aller Fragen in zwei Instanzen besteht nicht. Insbesondere, da die Anerkennung eines solchen Anspruchs absehbar zu einer Vielzahl von Zurückverweisungen und anschließenden Beschwerden führen könnte, was die Beschwerdekammer für ein offensichtlich widersinniges Ergebnis hält. Ziel des Beschwerdeverfahrens soll es sein, zu einer für alle Parteien verbindlichen Entscheidung zu gelangen. In den Fällen, in denen hierfür die erstmalige Behandlung neuen Sachverhaltes oder neuen Sachvortrages erforderlich wird, ist eine Abwägung zwischen der wünschenswerten Behandlung des Stoffes in zwei Instanzen und der ebenfalls wünschenswerten Verfahrenseffizienz erforderlich. Die Praxis der Beschwerdekammer tendiert dazu, neu eingereichte Hilfsanträge, die bereits in der Einspruchsabteilung behandelte Einspruchsgründe betreffen, ohne eine Zurückverweisung zu behandeln, eine Zurückverweisung aber dann vorzunehmen, wenn es erforderlich würde, in der ersten Instanz nicht behandelte Einspruchsgründe zu diskutieren (EPA-BK 23. 2. 2024, T 884/22).