SONN Patentanwälte – IP Attorneys

Entscheidung der Großen Beschwerdekammer über die Patentierbarkeit der WARF/Thomson Stammzellen-Anmeldung: Ein Verfahren, welches zwangsläufig die Zerstörung eines menschlichen Embryos bedingt, ist von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, selbst wenn dieser Schritt nicht Teil der Patentansprüche ist.

1.: Die Vorlageentscheidung:

Die Große Beschwerdekammer (EBA) des Europäischen Patentamts (EPA) hat nunmehr die lange erwartete Entscheidung in der WARF/Thomson Stamzellen-Anmeldung herausgegeben. Diese Patentanmeldung wurde zunächst durch die Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Von der zuständigen Technischen Beschwerdekammer wurden dann der GBK mehreren Fragen hinsichtlich der Patentierbarkeit von Erfindungen vorgelegt, bei denen menschliche Embryonen und Stammzellen involviert sind.

Hauptanspruch 1 der Anmeldung lautete wie folgt:
"1. Zellkultur mit embryonalen Stammzellen von Primaten, die
i) sich in einer In-vitro-Kultur über ein Jahr lang vermehren können,
ii) einen Karyotyp bewahren, in dem alle für die Primatenart normalerweise charakteristischen Chromosomen vorhanden sind und sich durch über ein Jahr langes Kultivieren nicht erkennbar verändern,
iii) während des Kultivierens ihr Potenzial bewahren, zu ento-, meso- und ektodermalen Gewebederivaten zu differenzieren, und
iv) an der Differenzierung gehindert werden, wenn sie auf einer Nährschicht aus Fibroblasten kultiviert werden."

Die erfindungsgemäße Zellkultur wurde aus menschlichen Embryos als Ausgangsmaterial erhalten. Um diese Zellen zu erhalten, muss der Embryo jedenfalls zerstört werden. Dieser Schritt wurde in der Patentanmeldung als unabdingbar für den Erhalt der Zellen beschrieben. Die Anmeldung wurde am 19. Jänner 1996 eingereicht. Regel 23d(c) (nunmehr Regel 28(c)) der Ausführungsordnung ("Nach Artikel 53 a) werden europäische Patente insbesondere nicht erteilt für biotechnologische Erfindungen, die zum Gegenstand haben: [..] (c) die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken;")) trat am 1 September 1999 in Kraft.

Die Technische Beschwerdekammer legte der GBK die folgenden Fragen vor:

  1. Ist Regel 23d c) (nunmehr Regel 28(c)) EPÜ auf eine Anmeldung anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten der Regel eingereicht wurde?
  2. Falls die Frage 1 bejaht wird, verbietet Regel 23d c) (nunmehr Regel 28c)) EPÜ die Patentierung von Ansprüchen auf Erzeugnisse (hier: menschliche embryonale Stammzellkulturen), die – wie in der Anmeldung beschrieben – zum Anmeldezeitpunkt ausschließlich durch ein Verfahren hergestellt werden konnten, das zwangsläufig die Zerstörung der menschlichen Embryonen umfasst, aus denen die Erzeugnisse gewonnen werden, wenn dieses Verfahren nicht Teil der Ansprüche ist?
  3. Falls die Frage 1 oder 2 verneint wird, verbietet Artikel 53a) EPÜ die Patentierung solcher Ansprüche?
  4. Ist es im Rahmen der Fragen 2 und 3 von Bedeutung, dass nach dem Anmeldetag dieselben Erzeugnisse auch ohne Rückgriff auf ein Verfahren hergestellt werden konnten, das zwangsläufig die Zerstörung menschlicher Embryonen umfasst (hier: z. B. Gewinnung aus vorhandenen menschlichen embryonalen Zelllinien)?

Regel 28(c) wurde eingeführt, um den Wortlaut von Artikel 6(2)(c) der Richtlinie 98/44/EG vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ("die Richtlinie") umzusetzen. Diese Bestimmung muss daher – zumindest in den EU-Mitgliedstaaten – zur endgültigen Auslegung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt werden. Demgemäß hatte die Anmelderin ebenfalls beantragt, dass die GBK die vorgelegten Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung dieses Artikels 6(2)(c) dem EuGH (nach Artikel 234 EG-Vertrag) zur Vorabentscheidung vorzulegen.

2.: Die Entscheidung G 2/06:

2.1.: Vorlage an den EuGH:

Die GBK kam zum Schluss, dass sie nach den geltenden Bestimmungen des EPÜ keine Möglichkeit habe, dem EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen. Weder das EPÜ noch die Ausführungsordnung würden eine Grundlage dafür bieten, dass eine (letztentscheidende) Instanz des EPA dem EuGH Rechtsfragen vorlegen könnte. Die Beschwerdekammern sind eine Schöpfung des EPÜ, und ihre Befugnisse sind beschränkt auf diejenigen, die im EPÜ vorgesehen sind. Das Fehlen einer Bestimmung, die eine solche Verweisung ermögliche, mache eine derartige Vorabentscheidungsvorlage unmöglich. Der Antrag auf Vorabentscheidung durch den EuGH wurde daher als unzulässig abgelehnt.

2.2.: Frage 1:

Da Artikel 28(c) der Ausführungsordnung sich auf ein Beispiel für eine Erfindung bezieht, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, wurde mit der Einführung dieser Regel in der Ausführungsordnung keine Veränderung der rechtlichen Bestimmung vorgenommen, sondern eine Klärung von Artikel 53a) EPÜ. Daher gilt Regel 28 auch für Anmeldungen, die vor dem 1. September 1999 eingereicht worden sind. Außerdem wurden bei Einführung dieser Regel keine Übergangsbestimmungen vorgesehen. Frage 1 war daher eindeutig mit "Ja" zu beantworten.

2.3.: Frage 2:

In Bezug auf Frage 2 hat die GBK deutlich gemacht, dass die Tatsache, dass die Erfindung notwendigerweise die Zerstörung eines menschlichen Embryos involviert, die Erfindung prinzipiell unpatentierbar mache, unabhängig davon, ob der Schritt der Embryo-Zerstörung Teil des Patentanspruches ist oder nicht. Die EBA erklärte, dass der Gesetzgeber jedenfalls derartige Erfindungen, wie die vorliegende, vom Patentschutz ausschließen wollte. Jede engere Auslegung (wenn man beispielsweise nur den Anspruchswortlaut betrachten würde) hätte die unerwünschte Folge, dass dieses Patentierungsverbot nur durch clevere und geschickte Anspruchsformulierung umgangen werden könnte. Auch Frage 2 wurde daher mit "ja" beantwortet.

2.4.: Frage 3:

In Anbetracht der Antwort auf die Fragen 1 und 2, war Frage 3 obsolet.

2.5.: Frage 4:

Schließlich wurde von der GBK hinsichtlich der Frage 4 klargestellt, dass technische Entwicklungen, die sich erst nach dem Anmeldetag ergeben, nicht berücksichtigt werden können. Es gelten die gleichen Bedingungen wie bei der ausreichenden Offenbarung. Wenn am Anmeldetag die Erfindung in der eingereichten Anmeldung nur unzureichend offenbart beschrieben werde, fehlt selbst dann die ausreichende Offenbarung, wenn diese durch nachfolgende technische Entwicklungen möglich gemacht werde. Auch ein Mangel gemäß Regel Artikel 28(c) EPÜ könne daher nicht durch Entwicklungen, die nach dem Anmeldetag eintreten, geheilt werden. Da dem Fachmann keine andere Möglichkeit für die Herstellung der erfindungsgemäßen Zellen mit der Anmeldung zur Verfügung gestellt worden sei, als diejenige, die mit der Zerstörung menschlicher Embryonen einherginge, sei das Verfahren als Ganzes nach Artikel 53c) in Verbindung mit Regel 28(c) von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Frage 4 wurde daher mit "nein" beantwortet.

Daniel Alge, 28. November 2008