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Die Große Beschwerdekammer zur Patentierbarkeit diagnostischer Methoden: Diagnostische Verfahren, bei denen nicht alle essentiellen technischen Schritte unmittelbar am menschlichen oder tierischen Körper selbst ausgeführt werden, sind weiterhin patentierbar.

Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (GBK) hat nunmehr ihre Stellungnahme im Fall G 1/04 zur Patentierbarkeit diagnostischer Verfahren veröffentlicht. Dabei ging es um die Frage, ob die im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) vorgesehene Ausnahme von der Patentierbarkeit für diagnostischen Verfahren, die "am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden" (Art. 52(4) EPÜ), eng oder weit auszulegen ist.

Im Detail ging es vor allem darum,

  • ob ein Verfahren schon dann unter diese Ausnahme von der Patentierbarkeit fällt, wenn nur ein wesentlicher Schritt für die Diagnose "am Körper" vorgenommen wird (z.B. die wahrscheinlich immer notwendige Probenahme); dies entspräche einer jüngeren Entscheidung einer Beschwerdekammer des EPA (T 964/99; ABl. EPO 2002,4), oder
  • ob alle wesentlichen Verfahrensschritte bei derartigen Verfahren "am Körper" durchgeführt werden müssen, um unter diese Ausnahmebestimmung zu fallen (so dass Verfahren, bei welchen zwar Informationen technisch am Körper selbst gewonnen werden, die allerdings auch andere wesentliche Schritte beinhalten (z.B. in vitro-Analysen), patentierbar wären; dies entspricht der bisher üblichen Praxis des EPA).

Die GBK hat sich in der nun vorliegenden Stellungnahme der zweiten - engen - Auslegungsalternative angeschlossen und daher - gemäß bisher üblicher Praxis - diagnostische Verfahren, bei denen nicht alle essentiellen Schritte unmittelbar am menschlichen oder tierischen Körper selbst ausgeführt werden, weiterhin als patentierbar erachtet.

Die GBK hat aber in ihrer Stellungnahme - neben der prinzipiellen Feststellung, dass Diagnoseverfahren technische Erfindungen im Sinne von Art. 52(1) EPÜ sind - grundlegend die Natur dieser Art von Erfindungen untersucht und mehr als nur die Antwort zur prinzipiellen Frage der Patentierbarkeit gegeben; in der Tat enthält die Stellungnahme eine detaillierte Anweisung, die in der Praxis zukunftsweisend sein wird, welche Anforderungen derartige Verfahren erfüllen müssen, um als patentierbar angesehen zu werden:

Zunächst wurde in der Stellungnahme festgehalten, dass Diagnoseverfahren immer die folgenden essentiellen Schritte beinhalten:

(i) die Prüfungsphase, die das Sammeln von Daten umfasst,
(ii) den Vergleich dieser Daten mit Standardwerten,
(iii) das Auffinden einer signifikanten Abweichung (i.e. ein Symptom) im Zuge dieses Vergleiches und
(iv) die Zuordnung dieser Abweichung zu einem bestimmten klinischen Bild, also die deduktive human- oder veterinärmedizinische Entscheidungsphase.

Die erste Frage, die sich die GBK stellte, war, ob sich die Prüfung im Hinblick auf die vom Patentschutz ausgenommenen Diagnoseverfahren nur auf den Schritt (iv) beschränkt oder aber ein oder mehrere (alle) Schritte (i) bis (iii) miteinbezogen werden müssen. Hierbei stellte die GBK fest, dass der Schritt (iv) eine rein geistige Tätigkeit sei und daher nicht als (technische) Erfindung im Sinne von Artikel 52(1) angesehen werden könne, wenn nicht - aufgrund des Fortschrittes auf dem Gebiet der Diagnosetechnologie - diese Entscheidungsphase (iv) von einem Gerät bewerkstelligt werden könne.

Wenn also dieser letzte Schritt (iv) tatsächlich eine rein geistige Tätigkeit darstellt, muss einer oder mehrere der vorherigen Schritte technischer Natur sein, um als patentierbar anerkannt werden zu können. Dabei ist es - wie die GBK explizit anführt - nicht wesentlich, wenn einer oder mehrere der Schritte oder Merkmale nicht-technischer Natur seien, solange die übrigen Schritte dem Gesamtverfahren genügend technische Natur geben. Im Gegenteil, es wurde sogar betont, dass, wenn nicht-technische Schritte essentiell für das Gesamtverfahren seien, diese sogar im (Haupt-) Anspruch angegeben werden müssen, um nicht gegen Artikel 84 EPÜ in Bezug auf Vollständigkeit zu verstoßen.

Die GBK hielt auch an ihrem Grundsatz fest, wonach Ausnahmebestimmungen wenn möglich immer eng auszulegen sind. Dies wurde alleine schon aus Gründen der Rechtssicherheit für notwendig erachtet. Es wurde daher als gerechtfertigt angesehen, wenn nur diejenigen Diagnoseverfahren vom Patentschutz ausgenommen werden, bei welchen alle essentiellen technischen Verfahrensschritte am menschlichen oder tierischen Körper selbst durchgeführt werden. Jedoch wurde festgehalten, dass es dabei nicht darauf ankomme, welche Personen bei diesen Schritten, die "am Körper" durchgeführt werden, anwesend sind oder von wem diese Schritte durchgeführt werden. Die zwingende oder notwendige Anwesenheit eines Arztes ist daher keine Voraussetzung, damit ein Verfahren unter die betreffende Ausnahmebestimmung fällt. Auch dies wurde vorrangig mit der Notwendigkeit von Rechtssicherheit begründet.

Schließlich setzte sich die GBK auch mit der Frage auseinander, ob die vorliegende Stellungnahme bei Zugrundelegung des EPÜ 2000 (tritt 2007 in Kraft) anders ausfallen würde. Im EPÜ 2000 ist die Bestimmung des Artikels 52(4) zu einem neuen Artikel 53(c) umgewandelt worden, wobei auch die Begründung des Ausschluss von der Patentierbarkeit geändert worden ist (gemäß EPÜ 2000 wurde diese Ausnahme aus Gründen der Volksgesundheit anstelle von mangelnder gewerblicher Anwendbarkeit vorgesehen). Die GBK kam zur Ansicht, dass die vorliegende Stellungnahme vollinhaltlich auch für das EPÜ 2000 zutrifft.

Die veröffentlichten Leitsätze (derzeit nur in Englisch verfügbar) sind die folgenden: "

  1. In order that the subject-matter of a claim relating to a diagnostic method practised on the human or animal body falls under the prohibition of Article 52(4) EPC, the claim is to include the features relating to:
    (i) the diagnosis for curative purposes stricto sensu representing the deductive medical or veterinary decision phase as a purely intellectual exercise,
    (ii) the preceding steps which are constitutive for making that diagnosis, and
    (iii) the specific interactions with the human or animal body which occur when carrying those out among these preceding steps which are of a technical nature.
  2. Whether or not a method is a diagnostic method within the meaning of Article 52(4) EPC may neither depend on the participation of a medical or veterinary practitioner, by being present or by bearing the responsibility, nor on the fact that all method steps can also, or only, be practised by medical or technical support staff, the patient himself or herself or an automated system. Moreover, no distinction is to be made in this context between essential method steps having diagnostic character and non-essential method steps lacking it.
  3. In a diagnostic method under Article 52(4) EPC, the method steps of a technical nature belonging to the preceding steps which are constitutive for making the diagnosis for curative purposes stricto sensu must satisfy the criterion "practised on the human or animal body".
  4. Article 52(4) EPC does not require a specific type and intensity of interaction with the human or animal body; a preceding step of a technical nature thus satisfies the criterion "practised on the human or animal body" if its performance implies any interaction with the human or animal body, necessitating the presence of the latter."