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Europäisches Patentamt:Patentansprüche auf Pflanzen (und Tiere) nicht ausgeschlossen

Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) hat in einer Grundsatzentscheidung erkannt, dass Patentansprüche auf Pflanzen an sich nicht prinzipiell von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind (G 1/98, "Transgene Pflanzen/NOVARTIS II"; noch nicht im EPA-Amtsblatt veröffentlicht, Text aber auf der EPA-Homepage verfügbar). In der seit langem erwarteten Entscheidung (das Verfahren war seit Juli 1998 bei der Großen Beschwerdekammer anhängig) wurde nunmehr die Auslegung des Art.53 b des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) geklärt.

Gemäß Art. 53 b EPÜ sollen Pflanzensorten und Tierarten sowie "im wesentlichen biologische Verfahren" vom Patentschutz ausgeschlossen sein. Diese Regelung geht noch auf Erwägungen zurück, die in den späten 50er/frühen 60er Jahren relevant waren. Damals wurde durch den Ausschluss von Pflanzensorten vom Patentschutz dem in der "Internationalen Vereinbarung für den Schutz von Pflanzenzüchtungen" (UPOV) vorgeschriebene "Doppelschutzverbot" entsprochen. Gemäß der UPOV (in der Fassung von 1961) durfte eine Pflanze, für die UPOV-Sortenschutz bestand, nicht gleichzeitig auch durch ein Patent geschützt sein. Mittlerweile (seit 1991) ist aber dieses "Doppelschutzverbot" in der UPOV abgeschafft worden. Die Ausnahme von Tierarten vom Patentschutz wurde übrigens in Analogie zu den Pflanzensorten aufgenommen, ohne dass es eine der UPOV entsprechende Möglichkeit des Schutzes für derartige Neuzüchtungen gegeben hat.

Da das Ziel dieser Ausschlussbestimmung gemäß Art. 53 b somit in der Vermeidung des Doppelschutzes begründet war, entwickelte das Europäische Patentamt eine Rechtsprechung, gemäß der Ansprüche zwar nicht auf Pflanzensorten oder Tierarten erteilt worden sind, wohl aber Ansprüche, die sich auf breitere taxonomische Entitäten beziehen, wie für Pflanzen z.B. auf Gattungen (z.B. die Primel) oder Familien (z.B. Primulaceae) bzw. für Tiere z.B. auf Klassen (z.B. Säugetiere) oder Ordnungen (z.B. Nagetiere).

Gemäß dieser Rechtsprechung (siehe z.B. die Entscheidungen T320/87 "Hybridpflanzen/LUBRIZOL" oder die heftig diskutierte T19/90 "Krebsmaus/HARVARD", für die übrigens noch immer ein Einspruchsverfahren beim EPA anhängig ist) galten Ansprüche auf Pflanzen oder Tiere dann als patentierbar nach dem EPÜ, wenn sie neu, erfinderisch, gewerblich anwendbar und – wegen des Ausschlusses von Pflanzensorten und Tierarten vom Patentschutz – nicht auf eine einzige Pflanzensorte bzw. Tierart beschränkt sind. Dies trifft natürlich auf viele Erfindungen bei welchen das Erbgut von Pflanzen oder Tieren durch gentechnische Methoden gezielt verändert wird zu, weshalb diese Frage gerade für die biotechnologische Industrie von entscheidender Bedeutung ist.

Diese Entscheidungspraxis wurde allerdings durch die Entscheidung T356/93 "Pflanzenzellen/PLANT GENETIC SYSTEMS" der Technischen Beschwerdekammer des EPA völlig umgestoßen. In dieser wurde festgestellt, dass Ansprüche auf Pflanzen an sich nicht gewährbar sind, da derartige Ansprüche immer auch Pflanzen umfassen, die Pflanzensorten zugehören. So wie jeder Anspruch in seinem gesamten Umfang z.B. neu sein müsse, führte die Technische Beschwerdekammer in dieser Entscheidung aus, so dürfen auch keine Ansprüche erteilt werden, die Ausführungsformen umfassen, welche vom Patentschutz ausgeschlossen seien.

Da diese "PLANT GENETIC SYSTEMS"-Entscheidung zu großer Verunsicherung führte, im Gegensatz zur vorherigen Entscheidungspraxis stand und noch dazu mit der inzwischen vom europäischen Parlament beschlossenen EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (EU-RL 98/44/EG) im Widerspruch lag, wurde im Zuge der Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Anmeldung mit Ansprüchen auf Pflanzen in einem ähnlich gelagerten Fall (T1054/96 "Transgene Pflanzen/NOVARTIS"), der Großen Beschwerdekammer die Frage vorgelegt, ob Ansprüche, mit welchen Pflanzen an sich beansprucht werden (und somit auch Pflanzen umfassen, die Pflanzensorten zugehören) in Anbetracht von Art. 53 b EPÜ gewährbar sein können.

Mit der nunmehr vorliegenden Entscheidung der Großen Beschwerdekammer wird eindeutig festgelegt, dass ein Anspruch, der mit welchem Pflanzen als solche beansprucht werden, worin aber Pflanzensorten nicht individuell erwähnt werden, nicht gemäß Art. 53 b EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist, weil er auch Pflanzensorten umfassen kann.

Damit kehrt das europäische Patentamt nicht nur zur vorigen Rechtsprechung zurück, in der Entscheidung wird auch der EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (EU-RL 98/44/EG) entsprochen. Insbesondere wurde festgehalten, dass der Ausschluss von der Patentierbarkeit von Pflanzensorten sich nur auf Ansprüche auf Pflanzensorten an sich beziehe, nicht jedoch auf einen weiter gefassten Anspruch. Daher sei auch die Prüfung dieses Aspektes nicht mit der Prüfung der Neuheit zu vergleichen (wie in "Pflanzenzellen/PLANT GENETIC SYSTEMS" geschehen), sondern mehr mit der Prüfung hinsichtlich Art. 53 a EPÜ. Gemäß Art. 53 a ist eine Erfindung vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstößt. Hierbei ist aber wesentlich, dass eine Erfindung nicht alleine schon deshalb vom Patentschutz ausgeschlossen ist, wenn deren Verwertung gegen die öffentliche Ordnung verstoßen könnte. Ein derartiger Ausschluss ist nur dann gerechtfertigt, wenn die (Mehrheit der) Bevölkerung eine Erfindung als absolut verabscheuenswürdig ansehen würde. Alleine ein gesetzliches Verbot in einem oder mehreren Mitgliedsstaaten reicht daher für diesen Ausschluss nicht aus; auch darf eine Erfindung auch dann nicht vom Patentschutz ausgeschlossen werden, wenn es sowohl "schlechte" (also gegen die öffentliche Ordnung verstoßende) als auch "gute" Formen der Verwertung der Erfindung gibt. Dieser Prüfungsstandard ist, so die vorliegende Entscheidung der Großen Beschwerdekammer, auch auf die Frage der Patentierbarkeit von Ansprüchen, die sich auf Pflanzen beziehen, anzuwenden.

Gleichzeitig bestätigte aber die Große Beschwerdekammer mit dieser Entscheidung aber auch die prinzipielle Nicht-Patentierbarkeit von Ansprüchen, die ausdrücklich auf bestimmte Pflanzensorten Bezug nehmen, selbst wenn diese Pflanzensorten auf mikrobiologischem Weg hergestellt worden sind. Im zweiten Teil von Art. 53 b EPÜ wird nämlich festgelegt, dass sich die Ausnahme von der Patentierbarkeit für Pflanzensorten oder Tierarten sowie für im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren nicht auf mikrobiologische Verfahren und auf die mit Hilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse bezieht. In der vorliegenden Entscheidung führte die Große Beschwerdekammer aus, dass Verfahren zur Genmanipulation nicht mit mikrobiologischen Verfahren identisch seien. Der Ausdruck "mikrobiologische Verfahren" beziehe sich nur auf Verfahren, bei welchen Mikroorganismen verwendet würden und solche Mikroorganismen unterschieden sich von den Teilen von Lebewesen, die für die genetische Veränderung von Pflanzen verwendet würden.

Für die Praxis bedeutet dies, dass zur Demonstration der Gewährbarkeit von Erfindungen im Bereich der gen-technologischen Veränderung von Pflanzen (mit Ansprüchen auf die Pflanzen selbst) jedenfalls gezeigt werden muss, dass die Erfindung nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte anwendbar ist. Es ist daher anzuraten, in derartige Patentanmeldungen zumindest Beispiele für zwei verschiedene Sorten aufzunehmen oder spätestens im Rahmen des Prüfungsverfahrens vorzulegen. Obgleich sich die vorliegende G1/98 mit Ansprüchen bezüglich Pflanzen auseinanderzusetzen hatte, ist sie im wesentlichen auch auf Ansprüche, die Tiere als solche betreffen, anwendbar, wobei hier noch der Umstand zu berücksichtigen ist, dass bei der Prüfung darüber zu entscheiden ist, ob die Anwendung der Erfindung ein Leiden dieser Tiere verursacht und – wenn ja – ob ein medizinischer Nutzen für die Menschheit erbracht wird, der gegen dieses Leiden abgewogen werden muss (s. Art.6(2)d der EU-RL 98/44/EG).