SONN Patentanwälte – IP Attorneys

Stellungnahme des Generalanwalts betreffend Ergänzende Schutzzertifikate

Memantin, ein von Merz in den 60er Jahren entwickeltes Medikament, war in Deutschland bereits im Handel, als es am 1. September 1976 auf Basis von Art.  3 (7) AMG 1976 zugelassen wurde; die Zulassung erfolgte basierend auf Übergangsbestimmungen zur nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie 65/65, welche bereits im Handel verfügbare medizinische Produkte für einen Zeitraum von 12 Jahren von der Anwendung der gemeinschaftlichen Zulassung ausnahmen. Diese Übergangsbestimmungen liefen in Deutschland am 1. Januar 1990 aus; Merz war jedoch bis zum 9. Juli 2002 am deutschen Markt vertreten.

In Luxemburg stellte Merz am 30. Juni 1983 ein Ansuchen auf Marktzulassung für Memantin, welches am 19. September 1983 gewährt wurde. Zuvor, am 29. April 1983, wurde die EU-RL 65/65 in Luxemburg mit einer großherzöglichen Verordnung umgesetzt.

Am 14. April 1989 meldete Merz ein europäisches Patent an, welches u.a. auf die Verwendung der bekannten Substanz Memantin Hydrochlorid für Medikamente zur Behandlung von Alzheimer gerichtet war.

2002 suchte Merz bei verschiedenen Patentämtern in Europa um Erteilung von ergänzenden Schutzzertifikaten an, wobei das europäische Patent und eine Marktzulassung datierend von 2002 als Basispatent bzw. als erste Marktzulassung im Europäischen Wirtschaftsraum geltend gemacht wurden. Die Schutzzertifikate wurden erteilt, woraufhin von einem Wettbewerber von Merz Nichtigkeitsklagen, u.a. auch in Österreich, eingebracht wurden. Die parallele Klage vor dem britischen High Court of Justice (Chancery Division) Patentgericht wurde schließlich im Zuge eines Vorabentscheidungsansuchens an den EuGH (Fall C-195/09) verwiesen, welcher sich im folgenden damit zu befassen hatte,

  • ob die nationalen Behörden für die erste Marktzulassung gemäß EU-RL 65/65 eine Beurteilung der Daten, wie in dieser Verordnung festgeschrieben, vorzunehmen haben;
  • ob eine Genehmigung eine "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" ist, wenn sie gemäß nationalen Vorschriften erteilt wird, die der Richtlinie 65/65 konform sind;
  • ob ein Erzeugnis, dessen erstmaliges Inverkehrbringen in der Gemeinschaft ohne Durchführung des Verwaltungsverfahrens gemäß der Richtlinie 65/65 zugelassen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1768/92 im Sinne von Art. 2 dieser Verordnung fällt und
  • falls nein, ob ein für ein solches Erzeugnis erteiltes ergänzendes Schutzzertifikat nichtig ist.

Der Generalanwalt gab nun seine Stellungnahme zu diesem interessanten Fall ab. Im Hinblick auf die Fragen 3 und 4 sieht er es als nicht vereinbar mit den Zielen der Verordnung 1768/92, jetzt 469/2009, dass der von einem Schutzzertifikat verliehene Schutz auf Produkte ausgedehnt wird, die bereits am gemeinschaftlichen Markt auf unterschiedlicher Basis verfügbar waren, bevor die Marktzulassung gemäß EU-RL 65/65 erhalten wurde, so dass solche Schutzzertifikate als nichtig zu betrachten sind.

Hinsichtlich der ersten und zweiten Frage kam der Generalanwalt zum Ergebnis, dass eine Zulassung, die von einem Mitgliedsstaat in Übereinstimmung mit den nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 65/65 erlassen wurde, eine erste Marktzulassung in der Gemeinschaft zum Zwecke der Artikel 13 und 19 darstellen kann; dies selbst dann, wenn das von der Verordnung vorgeschriebene Verwaltungsverfahren nicht bzw. nicht vollständig implementiert wurde, insbesondere betreffend die Durchführung toxikologischer und pharmakologischer Versuche, klinischer Studien gemäß Art. 4 (8) der Verordnung sowie die Benachrichtigung über die Ergebnisse dieser Versuche und Studien. In ähnlicher Weise kann eine Marktzulassung, die von der zuständigen Behörde eines Mitgliedsstaats unter Berücksichtigung der jeweiligen Übergangsbestimmungen und auf Basis einer vor der Umsetzung der Richtlinie 65/65 in das Gesetzeswerk jenes Mitgliedsstaates erteilten Marktzulassung als erste Marktzulassung in der Gemeinschaft im Sinne der vorstehenden Bestimmungen angesehen werden.

Zusammenfassend gelangte der Generalanwalt zur Überzeugung, dass die Zeitdauer des Merz-Schutzzertifikats insofern falsch berechnet wurde, als die Marktzulassung aus 2002 - und nicht die frühere deutsche Übergangszulassung - als Basis herangezogen wurde; die frühere deutsche Zulassung ist vielmehr als erste Zulassung in der Gemeinschaft zum Zwecke des Art. 13 der Vorschrift anzusehen. Unter der Annahme der deutschen Zulassung als maßgebliche Zulassung ist jedoch die Schutzdauer des an Merz erteilten Schutzzertifikats - Null.

DI Peter Pawloy