SONN Patentanwälte – IP Attorneys

Zur Berücksichtigung des Erteilungsakts bei der Beurteilung von Patentverletzungen

Ob und in welchem Ausmaß der Erteilungsakt in einem späteren Verletzungs- bzw. Nichtigkeitsverfahren zur Auslegung des Streitpatents heranzuziehen ist, wird in den verschiedenen Jurisdiktionen sehr unterschiedlich gehandhabt.

Bis jetzt haben die Österreichischen Gerichte eine ausgewogene Herangehensweise gewählt, wobei der Erteilungsakt in Fällen berücksichtigt wurde, in denen die Bedeutung eines beanspruchten Merkmals nicht vollständig klar war. Demnach wurde nicht automatisch jeder Äußerung im Erteilungsverfahren Vorrang über andere Auslegungen eingeräumt. Hat der Patentinhaber allerdings ein beanspruchtes Merkmal auf einschränkende Art und Weise definiert, war er später an diese im Zuge des Erteilungsverfahrens getroffene enge Auslegung gebunden.

In einer seiner jüngeren Erkenntnisse lag es am OGH zu entscheiden, ob ein Patentinhaber, der im Erteilungsverfahren eine Einschränkung des Schutzbegehrens auf einen "Swiss-type-claim" betreffend die Herstellung eines Arzneimittels vorgenommen hat, daran gehindert wird, sein Patent gegen einen Beklagten durchzusetzen, der das Produkt als Nahrungsergänzungsmittel und nicht als Arzneimittel verkauft. Vom Beklagten wurde vorgebracht, dass der Anspruch im Erteilungsverfahren eindeutig auf Arzneimittel beschränkt und somit auf einen Schutz für Nahrungsergänzungsmittel verzichtet wurde. Diese Argumentation wurde vom OGH für nicht überzeugend erachtet.

Der OGH stellte vielmehr erstmals fest, dass gemäß Art. 69 EPÜ der Schutzumfang durch die Ansprüche bestimmt wird, zu deren Auslegung die Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen sind; demgegenüber sei es nicht relevant, ob der Erteilungsakt einen engeren Schutzumfang nahelegt. Dies wurde damit begründet, dass der Erteilungsakt nicht zwangsläufig alles widerspiegle, was im Erteilungsverfahren vorgefallen ist; zudem schuf die Berücksichtigung des Erteilungsakts in vielen Fällen neue Auslegungsprobleme. Die Begründung des OGH verweist weiters auf einen Vorschlag während der Diplomatischen Konferenz zur Revisionsakte des EPÜ im November 2000, welcher die zwingende Berücksichtigung des Erteilungsakts als Mittel zur Auslegung der Ansprüche vorsah, jedoch keine Mehrheit fand.

Die OGH-Entscheidung steht allerdings nicht in Einklang mit § 163 (5) PatG, welcher explizit regelt, dass der Inhalt des Erteilungsakts bei der Beurteilung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen ist. Diese Gesetzesstelle bezieht sich allerdings lediglich auf Feststellungsverfahren vor der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamts und nicht auf zivilgerichtliche Klagen. Da die Zivilgerichte (unter bestimmten Voraussetzungen) jedoch an die Entscheidung der Patentbehörden gebunden sind, kann es im Fall, dass eine Endentscheidung des Feststellungsverfahrens vor der Endentscheidung im zivilgerichtlichen Verfahren ergeht, zu Widersprüchen zwischen der Auslegung des Schutzumfangs im zivilgerichtlichen Verfahren bzw. im Feststellungsverfahren vor der Nichtigkeitsabteilung kommen; der Rechtssicherheit sind diese unterschiedlichen Auslegungsregeln für die gleiche Rechtsfrage jedenfalls nicht dienlich.

Dr. Rainer Beetz, LL.M.