SONN Patentanwälte – IP Attorneys

Wie weit reichen Rückrufansprüche?

Wie bereits in unseren News 3/2007 berichtet, ist fraglich, ob Art. 10 der IP-Enforcement-Richtlinie in Österreich vollständig umgesetzt wurde; insbesondere wurden zur Umsetzung der Richtlinie keine speziellen Vorschriften im nationale Recht betreffend den Rückruf verletzender Erzeugnisse aus den Vertriebswegen vorgesehen, da der Gesetzgeber die Ansicht vertrat, dass entsprechende Abhilfemaßnahmen bereits bestanden; gemäß § 148 PatG sei der Patentverletzer ohnedies bereits zur Beseitigung des dem Gesetz widerstreitenden Zustandes verpflichtet.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem nationalen Recht und Art. 10 der Enforcement-RL wurde jedoch in einer jüngeren Entscheidung des Obersten Gerichtshofs offenkundig. In diesem Fall wurde vom Patentinhaber beantragt, sämtliche Verletzungsgegenstände aus den Vertriebswegen rückzurufen.

Der OGH erkannte diesbezüglich, dass ein solcher Anspruch auf Rückruf unter den Beseitigungsanspruch gemäß § 148 PatG fällt, wobei eine Grundvoraussetzung jedes Beseitigungsanspruchs sei, dass sich die Ware (noch immer) in der Verfügungsmacht des Beklagten befände. Sofern die Ware allerdings bereits Dritten übergeben wurden und der Kaufpreis bezahlt wurde, ist der Verkäufer regelmäßig nicht mehr befugt, über die Ware zu verfügen; demnach können Waren, die sich nicht mehr in der Verfügungsmacht des Verletzers befinden, auch nicht mehr rückgerufen werden.

Diese (enge) Auslegung des Rückrufanspruchs steht in klarem Widerspruch zu der in der deutschen Literatur vertretenen Rechtsansicht bzw. zur Auslegung durch die deutschen Gerichte der entsprechenden Bestimmung im deutschen Recht. Nach deutscher Auslegung ist nämlich der Anspruch auf Rückruf in der Enforcement-RL gerade als Maßnahme vorgesehen, um Waren, die sich nicht mehr in der Verfügungsmacht des Verletzers befinden, rückrufen zu können. Gemäß der Rechtssprechung deutscher (Unterinstanzen-)Gerichte wird dem Verletzer demnach die Verpflichtung auferlegt, jedwede verletzende Ware rückzurufen, die bereits an Vertriebspartner bzw. Händler verkauft wurde; nur vom Endverbraucher müssen Verletzungsgegenstände nicht mehr rückgerufen werden.

Da die Frist zur Umsetzung der Enforcement-RL längst abgelaufen ist, sollten sich Schutzrechtsinhaber jedoch erfolgreich auf die direkte Anwendbarkeit des Art. 10 der Richtlinie berufen können. In dem entschiedenen Fall sah der OGH jedenfalls keine Veranlassung, ein Vorabentscheidungsersuchen zur Frage, wie weitreichend der Anspruch auf Rückruf auszulegen ist, an den EuGH zu richten.

Demnach muss wohl abgewartet werden, ob ein anderes nationales Gericht ein Vorabentscheidungsersuchen zur Frage der Auslegung des Art. 10 der Enforcement-RL, insbesondere ob nicht mehr in der Verfügungsmacht des Verletzers befindliche Waren vom Rückrufanspruch erfasst werden, an den EuGH richtet.

Dr. Rainer Beetz, LL.M.