SONN Patentanwälte – IP Attorneys

Österreichische und deutsche Gebrauchsmuster – die ungleichen Zwillinge

Nach der Einführung des österreichischen Gebrauchsmustergesetzes 1994 wurden von den Gerichten bisher wenig klare Leitlinien betreffend das erfinderische Niveau zur Erfüllung des gesetzlichen Erfordernisses eines "erfinderischen Schritts" vorgegeben. Gemäß den Erläuternden Bemerkungen sowie der vorwiegenden Meinung im Schrifttum wurde unisono eine geringere "Erfindungshöhe" im Gebrauchsmusterrecht gegenüber dem Patentrecht als ausreichend für die Registrierung eines rechtsbeständigen Gebrauchsmusters in Österreich angesehen.

In jüngster Vergangenheit (12. Juli 2006) hat nun der OGH die erforderliche Erfindungsqualität für die Registrierung eines rechtsbeständigen österreichischen Gebrauchsmusters genauer definiert. In dem Erkenntnis verweist der OGH auf die "analoge" deutsche Rechtslage und führt unter Verweis auf das deutsche Schrifttum aus, dass es für das Vorliegen eines erfinderischen Schrittes nicht einer Leistung bedarf, die sich für einen Fachmann mit durchschnittlichem Können als nicht nahe liegend aus dem Stand der Technik ergibt (Erfindungshöhe für Patent). Vielmehr genüge eine über fachmännische Routine hinausgehende Lösung, die aber für den Durchschnittsfachmann grundsätzlich auffindbar sei. Demzufolge wurde das erforderliche Niveau an Erfindungsqualität bzw. -höhe für das österreichische Gebrauchsmusterrecht klar und eindeutig als unter jenem des Patentrechts liegend definiert.

Zugleich erwog der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) erstmals nach der Gebrauchsmustergesetznovelle aus 1986, mit welcher das Erfordernis betreffend eines "erfinderischen Schritts" erstmals explizit in das deutsche Gebrauchsmustergesetz aufgenommen wurde, über das erforderliche Niveau an Erfindungsqualität, um dieses gesetzliche Erfordernis zu erfüllen. In expliziter Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des Bundespatentgerichts, den Gesetzesmaterialien sowie dem Schrifttum (auf welches sich die zugleich ergangene OGH-Entscheidung stützt), kommt der BGH zu dem Entschluss, dass es sich verbietet, Naheliegendes unter dem Gesichtspunkt, dass es der Fachmann nicht bereits auf der Grundlage seines allgemeinen Fachkönnens unter routinemäßiger Berücksichtigung des Standes der Technik ohne weiteres finden könne, als auf einem erfinderischen Schritt beruhend zu bewerten. Vielmehr erscheint dem BGH ein Anknüpfen an eine geringere erfinderische Leistung für das Gebrauchsmusterrecht als im Patentrecht als Systembruch.

Auf Grundlage dieser entgegengerichteten Entscheidungen der beiden Höchstgerichte ist somit davon auszugehen, dass eine Vielzahl von Gebrauchsmustern in Deutschland als nichtig zu bewerten sind, wohingegen die korrespondierenden Registrierungen in Österreich als rechtsbeständig zu beurteilen sind. Sollte der OGH somit an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten, so wären österreichische und deutsche Gebrauchsmuster recht ungleiche Zwillinge.

Dr. Rainer Beetz, LL.M.